Gute Zahnmedizin geht nur mit einem guten Praxisteam. Und ein Team braucht verantwortungsbewusste Führung. Aber Verbesserungsmöglichkeiten schlummern überall. Wie die Positive Psychologie helfen kann, Ihr Team fokussierter, zufriedener und leistungsstärker zu machen.
Die Positive Psychologie (PP) untersucht wissenschaftlich, welche Faktoren zur Verbesserung von Lebens- und Arbeitszufriedenheit beitragen und welche Auswirkungen eine solche Verbesserung hat [Fredrickson, 2009; Snyder and Lopez, 2009]. Darüber hinaus erforscht sie, welche Faktoren die Resilienz stärken (psychische Widerstandsfähigkeit in schwierigen Situationen). Die Methoden sind so wirksam, dass die amerikanische Armee flächendeckend Schulungen in Positiver Psychologie für ihre Soldaten durchgeführt hat [Seligman, 2012], um deren Resilienz zu stärken. Die Ergebnisse lassen sich in verschiedenen Bereichen direkt umsetzen – in der Praxis (und anderen Betrieben) ebenso, wie zum Beispiel im Bildungsbereich, in der Prävention und in der Therapie. Im Folgenden finden Sie einige Ansätze aus der Positiven Psychologie, die Sie konkret in der Praxis nutzen können.
Positive Einstellungen und positive Gefühle kultivieren:
Positive Gefühle und positive Einstellungen verbessern nachweislich das soziale Miteinander und die Fähigkeiten zu kreativen Lösungen [Fredrickson, 2011; Fredrickson, 2013]. Sie beeinflussen sogar das Immunsystem positiv. Positive Gefühle haben außerdem einen sogenannten „Undoing-Effekt“ [Fredrickson et al., 2000]: Sie können negative Erlebnisse in anderen Lebensbereichen ausgleichen. Das bedeutet für Sie, dass Sie durch ein positives Arbeitsklima die Zufriedenheit im Team und sogar die Fehlzeiten beeinflussen können. In Unternehmen mit positiv bewerteter Unternehmenskultur fehlen nur etwa halb so viele Mitarbeiter länger als insgesamt zwei Wochen im Jahr wie in Unternehmen mit schlechteren Arbeitsbedingungen [Badura/ Ducki, 2016]. Sowohl positive Gefühle als auch positive Einstellungen lassen sich in Teams durch geeignete Fragen und die Lenkung der Aufmerksamkeit systematisch ausbauen. In der Praxis können Sie positive Gefühle und positive Einstellungen beispielsweise durch die Gestaltung ihrer Teambesprechungen verbessern.
Positive Kommunikation fördern:
In verschiedenen Studien[Cameron, 2012; Cameron and Spreitzer, 2011] konnte gezeigt werden, dass – erlernbare – positive Kommunikation die Leistungsfähigkeit des gesamten Teams stark fördert. Positive Kommunikation bedeutet, dass der Anteil positiver Äußerungen (z. B. Zustimmung, Dank, Ausrichtung auf gemeinsame Ziele und Werte, …) deutlich höher ist als der von kritischen und abwertenden Äußerungen. Wesentlich ist dabei allerdings, dass es nicht darum geht, negative Aspekte unter den Tisch zu kehren. Das Nicht-Benennen von Fehlern, Missständen und Schwierigkeiten ist keine Lösung, sondern ein eigenes Problem.
Lenken Sie den Fokus auf positive Gefühle
Für die Verbesserung der Leistungsfähigkeit und der Beziehungen ist das Verhältnis ausschlaggebend [Fredrickson, 2013; Gottman Silver 2015]. Dabei liegt das optimale Verhältnis zwischen 3:1 und 6:1. Das bedeutet, dass drei- bis sechsmal mehr Zustimmung, Dank und Wertschätzung erfolgen sollten als kritische Äußerungen. Patienten, die in eine solche Praxisatmosphäre hineinkommen, entspannen sich und fühlen sich gut betreut. Teams, die unter derartigen Bedingungen arbeiten, sind produktiver und weniger anfällig für Stress.
Die Chancen zum Einsatz von persönlichen Stärken erhöhen:
Wenn Mitarbeiter täglich ihre Stärken am Arbeitsplatz einsetzen können, nimmt ihre Zufriedenheit zu. Sie haben mehr Erfolgserlebnisse und ihr Selbstwert steigt. Außerdem können sie sich in den Bereichen, die ihnen wichtig sind, weiterentwickeln. Wenn Sie Ihre Mitarbeiter nach deren Stärken einsetzen, erhöhen Sie die Zufriedenheit der Mitarbeiter und das Gesamtteam wird deutlich leistungsfähiger. Natürlich ist es auch hilfreich, seine persönlichen Stärken zu kennen. Unter www.charakterstaerken.org finden Sie einen kostenlosen Test der Universität Zürich, den VIA-Stärkentest. Dort haben Sie die Möglichkeit Ihre persönlichen Stärken systematisch zu testen.
Aufmerksamkeitsfokussierung und Flow ermöglichen:
Ein Flow ist ein Zustand, in dem die Anforderungen und die Leistungsmöglichkeiten in einer idealen Passung stehen [Csikszentmihalyi/Charpentier, 2015]. Im Flow-Zustand „vergisst“ der Betreffende alles, was nicht mit dem augenblicklichen Arbeitsthema zu tun hat. Er geht in der Arbeit auf, ohne erschöpft zu werden. Viele Zahnärzte (und ihre assistierenden Mitarbeiter) erleben diesen Flow im Rahmen von anspruchsvollen Behandlungen. Ein Flow kann aber genauso beim Bearbeiten von HKPs auftreten oder beim konzentrierten Arbeiten im „Steri“.
Sie können die Wahrscheinlichkeit von Flows steigern, wenn Sie geeignete Rahmenbedingungen schaffen. Die Aufgabe muss so anspruchsvoll sein, dass diese für denjenigen, der sie umsetzt, eine Herausforderung darstellt. Sie sollte mit Einsatz, aber ohne Überforderung erfolgreich gemeistert werden können. Dabei sollte sich der Mitarbeiter völlig auf diese Aufgabe konzentrieren können, Unterbrechungen des Arbeitsablaufs, z. B. durch durchgestellte Telefonate, sollten vermieden werden.
Stimmen Sie Potenzial und Anforderungen ab
Ein sogenannter Mikro-Flow kann sogar bei einfachen Routineaufgaben erzeugt werden, wenn die Aufgabe in kurzer Zeit mit hoher Konzentration und Präzision durchgeführt wird. Entscheidend für das Flow- Erleben scheinen einerseits die Konzentration und andererseits die Herausforderung zu sein. Je häufiger ein Flow beim Arbeiten auftritt, desto befriedigender wird die Arbeit erlebt [Csikszentmihalyi/Charpentier, 2015], was nachweislich das Engagement für die Arbeit stärkt.
Durch Ziele, Werte und Sinnerleben – wenn Arbeit als sinngebend erlebt wird – steigt die Motivation stark. Ein wichtiger Motivationsfaktor liegt darin, einen sinnvollen Beitrag zu einem wertvollen größeren Ganzen zu leisten. In Befragungen zur Mitarbeiterzufriedenheit [Cameron, 2012; Cameron, 2013] ist ein wesentlicher Faktor, dass Mitarbeiter das Gefühl haben, dass ihr Betrieb etwas Sinnvolles tut und dass ihre eigene Arbeit ein wichtiger Beitrag dazu ist. Für die Praxis heißt das, dass die großen Leitziele der Praxis (manchmal auch Vision genannt) vom Inhaber verständlich vermittelt und als Team gelebt werden.
Aus nachvollziehbaren wirtschaftlichen Gründen werden heute jedoch oft wirtschaftliche Ziele definiert und vermittelt. Bei diesen wirtschaftlichen Zielen handelt es sich jedoch aus Mitarbeitersicht nicht um sinngebende Ziele, sondern nur um die Ergebnisse und deren Umsetzung. Ein Mitarbeiter erlebt, dass seine Arbeit sinnvoll ist, wenn er dazu beiträgt, dass Patienten wirklich gut versorgt werden. Dabei kann es zum Beispiel darum gehen, dass die Patienten durch optimale Prophylaxe dauerhaft ihre eigenen Zähne erhalten oder dass Kinder den Besuch beim Zahnarzt entspannt erleben können und gern in die Praxis kommen oder dass Patienten in der Chirurgie wirklich schonend behandelt werden. Genauso sinngebend ist es, wenn in der Verwaltung die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für derartige gute Versorgungen geschaffen werden.
Häufig führen auch schon kleine Veränderungen in der Gestaltung der Arbeit zu mehr Zufriedenheit. Dieses Vorgehen wird als „Job Crafting“ bezeichnet: Darunter versteht man, dass Mitarbeiter von sich aus versuchen, ihre Stärken und Motive mit den Anforderungen der Praxis möglichst gut in Einklang zu bringen [Wrzesniewski/Dutton, 2001]. Das geschieht normalerweise in drei Bereichen: 1. Der Mitarbeiter kann versuchen, sein Aufgabenprofil innerhalb der Praxis so zu verändern, dass es besser zu seinen Stärken und Motiven passt und er so mehr Erfolge hat. 2. Er kann probieren, die Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern zu verändern. 3. Er kann versuchen, mehr Sinn in dem zu finden, was er tut. Wenn ein Zahnarzt derartige Bestrebungen bemerkt, hilft es, diese zu fördern anstatt starr an Vorgaben festzuhalten. Mehr noch: Wenn ein Zahnarzt Unzufriedenheit bei einzelnen Mitarbeitern bemerkt, kann er von sich aus über solche Veränderungen nachdenken. Das kann zu mehr Arbeitszufriedenheit führen.
Schon der Einsatz weniger ausgewählter Methoden kann die Zufriedenheit der Mitarbeiter steigern. Ein zentrales Ergebnis der Forschung ist, dass die Zufriedenheit und die Leistungsfähigkeit steigen, wenn der Fokus mehr auf Stärken und Erfolge gelegt wird als auf Fehler und Schwächen [van Woerkom and Meyers, 2014; van Woerkom and Meyers, 2015; Meyers et al., 2013]. In der Medizin ist es normal, auf das Negative zu schauen – Symptome zu suchen und Krankheiten zu diagnostizieren. Das bewusste Wahrnehmen positiver Aspekte erfordert daher ein Umdenken. Ein erster Ansatz dazu kann darin bestehen, im Rahmen der Teambesprechung zuerst die positiven Aspekte der vergangenen Woche zu betrachten. Das klingt banal, hat aber durchaus beachtliche Auswirkungen auf den Verlauf der Besprechung.
Was Sie tun können:
Sie können mit Ihrem Team die Auswirkungen der Fokussierung auf das Negative durchsprechen: Unsere Gehirne sind aufgrund der Evolution auf Negatives fokussiert [Fredrickson, 2009]. Der Neandertaler, der nicht früh genug den Säbelzahntiger erkannte, wurde gefressen und bekam keine Kinder. Wir sind die Nachfahren von denen, die die Gefahren rechtzeitig erkannt haben. Deswegen sind unsere Gehirne auf Negatives konditioniert. Wir erkennen es schneller, merken es uns intensiver und es fällt uns schneller wieder ein. Aber in unserer heutigen Umwelt gibt es nur noch sehr wenige starke Bedrohungen, um die wir uns so kümmern müssen. Trotzdem kreisen unsere Gedanken oft um Probleme und Fehler. Wir grübeln und es entsteht eine gewisse Grundangst weitere Fehler zu machen. Dadurch steigt die Fehlerhäufigkeit und die Stimmung sinkt.
Wertschätzen Sie die Highlights der Woche
Anschließend können Sie darstellen, was anderes geschieht, wenn die Wahrnehmung auf das gleichzeitig bestehende Positive gelenkt wird: Wenn wir über die angenehmen Begegnungen und die Erfolge nachdenken, die auch täglich auftreten, entstehen Gefühle von Zufriedenheit und Freude. Der Fokus der Aufmerksamkeit wird weiter, es gibt mehr kreative Gedanken und Ideen. Die Lösung von Problemen wird müheloser und es entstehen mehr Erfolge. Wir entspannen uns und gehen netter miteinander und mit den Patienten um. Alles erscheint leichter und alle haben mehr Freude am Arbeiten. Man nennt das den „Broaden-and-Build-Effekt“ [Fredrickson, 2013].
Achtung, es handelt sich hierbei nicht um das sogenannte „Positive Denken“! Beim „Positiven Denken“ wird die Realität teilweise ausgeblendet und nicht adäquat verarbeitet [Oettingen, 2015; Oettingen and Mayer, 2002]. Nachgewiesen ist, dass genau dadurch die Leistungsfähigkeit sinkt! Bei der positiven Wahrnehmungslenkung wie es die Positive Psychologie beschreibt, geht es hingegen darum, das Gute, was wirklich da ist, wahrzunehmen und wertzuschätzen.
Um diese Haltung zu fördern, können Sie Ihre Mitarbeiter bitten, sich täglich am Ende des Tages kurz drei Dinge oder Begebenheiten zu notieren, die an diesem Tag gut gewesen sind. Wenn der Mitarbeiter weiß, dass er das abends notieren soll, achtet er automatisch über den Tag mehr auf positive Ereignisse und merkt sich diese. Aus diesen Notizen können sich die Mitarbeiter dann vor der nächsten Teambesprechung ihr Highlight der Woche aussuchen. Sie können die Teambesprechung dann so beginnen, dass jeder kurz von seinem Highlight der Woche erzählt. Anfangs gehen diese Runden meist etwas schleppend; wenn sie jedoch erst einmal etabliert sind, führen sie zu einer Verbesserung der Stimmung und erstaunlicherweise zu einer Verkürzung der Teambesprechung bei gleichzeitiger Steigerung der Effizienz.
Die Effekte der Übung, abends drei gute Dinge aufzuschreiben, sind sehr gut untersucht [Emmons McCullough, 2003; Emmons, 2007; Emmons, 2008]. Schon ein Einsatz über 14 Tage steigert die Lebenszufriedenheit über mehrere Monate hinweg und wirkt nachhaltig depressionslindernd. Die Anwendung einiger dieser Aspekte kann die Praxis im neuen Jahr für den Zahnarzt und sein Team (noch) angenehmer und erfolgreicher werden lassen.
Dr. med. dent. Anke Handrock
Steinbeis-Transfer-Institut Positive Psychologie und Prävention,
Boumannstr. 32, 13467 Berlin, info@pp-praevention.de
Prof. Dr. Med. Ulrich Schwantes, Facharzt für Allgemeinmedizin
Medizinische Hochschule Brandenburg
Fehrbelliner Str. 38, 16816 Neuruppin, ulrich.schwantes@praxis-schwante.de
Dipl.-Psych. Maike Baumann
Universität Potsdam
Am neuen Palais 10, 14469 Potsdam, mbaumann@uni-potsdam.de
Diesen Beitrag finden Sie auch in der ZM HEFT 02/2017.