Agiles Mindset – Strategien in der Krise

Raissa Yassine

COVID-19 – Welche strategischen Überlegungen muss ich heute schon anstellen?

Die COVID-19-Krise ist die größte Herausforderung für Gesellschaft und Wirtschaft seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die vollständigen Auswirkungen dieser Pandemie können wir auch zwei Monate nach Infektionsausbruch in Deutschland weiterhin nur vermuten. Eine Sache ist aber sicher: Stabilität wird es erstmal nicht geben. Was heute gilt, ist in zwei Wochen vielleicht schon nicht mehr möglich oder sinnvoll. Zum Teil müssen wir das genaue Gegenteil von dem machen, was wir heute tun. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind das Gebot der Stunde. Wichtig ist die Wahl einer effizienten Strategie und die Bereitschaft, diese ständig anzupassen und neu auszurichten. Dabei sollte sowohl auf ein akutes Notfallkonzept sowie auf eine strategische Neuausrichtung geachtet werden.
  1.  Welche Maßnahmen muss, bzw. kann ich akut vornehmen, um die aktuelle Notlage zu überstehen?
  2.  Welche Gedanken kann ich mir heute schon machen, um mich bestmöglich auf die Zeit nach der Krise vorzubereiten?
Trotz der Fokussierung auf dringend erforderliche Maßnahmen sollten Überlegungen über die Gestaltung der Zukunft immer mit betrachtet werden. Das gewährleistet die erforderliche Flexibilität, auf die ständig wechselnden Ereignisse selbstbestimmt reagieren zu können.
Agiles Management als Antwort
Laut Studie der Hochschule Pforzheim werden vier Kernelemente der Agilität zugeschrieben.
  • Agiles Mindset
  • Kunden- bzw. Patientenzentriertheit
  • Geschwindigkeit
  • Anpassungsfähigkeit
Agiles Mindset
Die COVID-19-Krise verlangt dieses agile Mindset von uns ab. Früher konnten wir noch sagen: „Never change a running system“. Heute gibt es die bewährten Strukturen nicht mehr. Das macht es tatsächlich einfacher, ein agiles Mindset zu entwickeln. Die Frage, ob es nicht besser ist, Bewährtes weiter zu verfolgen, stellt sich einfach nicht mehr. Wir werden also von heute auf morgen zum agilen Denker – zumindest zeitweise. Wir können nicht mehr planen und auch nicht mehr alles unter Kontrolle behalten. Stattdessen bedeutet agiles Mindset, Entwicklungen zu beobachten und auf ihrer Basis die Zukunft gestalten. Das ist unbequem und teilweise auch schmerzlich, aber für eine strategische Neuausrichtung genau das Richtige. Wir sollten uns darauf möglichst zügig einlassen und dieses Denken auch beibehalten.
Kunden- bzw. Patientenzentriertheit
Diese Fokussierung ist die höchste Herausforderung für die einzelne Praxis. Fordert er nämlich ein komplettes Neudenken bzgl. Entscheidungsfindungen. Während viele in der Vergangenheit die Entscheidungen abhängig von ihren Fachkompetenzen getroffen haben – ich beherrsche Behandlung XY und lehne Behandlung Z ab – wird die Entscheidung über neue Strategien künftig von dort aus getroffen werden müssen, wo sich die Nachfrage befindet – bei den Patienten. Prozesse müssen viel mehr aus Kundensicht gedacht werden als vorher. Wenn die Digitalisierung durch die Krise zu einem Bestandteil des Alltags wird, dann wird der Patient diese Ansprüche auch an seinen Fachzahnarzt stellen. Weiterhin auf analoge Prozesse zu setzen, weil man sie für sinnvoller oder sicherer hält, wird nicht mehr gehen. In diesem Zusammenhang werden Praxen, die schon vorher auf digitale Prozesse gesetzt haben, einen entscheidenden Vorteil haben. Was allerdings nicht bedeutet, dass all diese Praxen erfolgreich aus der Krise hervorgehen. Genauso wenig bedeutet es, dass alle anderen Praxen scheitern. Wichtig ist, dass man jetzt genau beobachtet, was von den Patienten zum Trend gemacht wird, wie dieser Trend zur eigenen Praxis passt und je nach Einschätzung zur Umsetzung kommt.
Geschwindigkeit
Es gilt nicht so sehr die Frage: „Wo starte ich?“, sondern die Frage: „Bekomme ich mit, was im Trend liegt?“ und „Wie schnell kann ich den Trend umsetzen?“. Geschwindigkeit hat immer dann Priorität, wenn sich der Kontext verändert. Zum Beispiel ist die Frage, wie ich meine Patienten während der Ausgangssperre betreue, mittlerweile veraltet, weil das Gros längst reagiert hat. Es folgt die Frage, wie ich Neupatienten bekomme, solange die Ausgangssperre aufrechterhalten bleibt. Und was tue ich, wenn die Menschen wieder raus dürfen, aber vielleicht kein Interesse mehr haben, in meine Praxis zu kommen. Der Kieferorthopäde muss jetzt schon dort sein, wo die Aufmerksamkeit seiner Zielgruppe ist. Nur so kann er sicherstellen, dass er seine Patienten weiterhin behält. Wo ist die Aufmerksamkeit derzeit? Im Internet? In den sozialen Medien? Und wo ist der Kieferorthopäde?
Anpassungsfähigkeit
Für Agilität in der Praxis müssen künftig kürzere und überschaubare Planungs- und Umsetzungszyklen verwirklicht werden, die konkrete Ergebnisse liefern. Was zunächst mehr nach einer „Vorgabe von oben“ klingt, ist das genaue Gegenteil davon. Auch hier gilt, dass die Entscheidung dort getroffen wird, wo die Prozesse stattfinden – inklusive Beteiligung aller Betroffenen. Am erfolgreichsten sind Praxisinhaber, die das Team entscheiden lassen und gleichzeitig flexibel agieren, wenn Maßnahmen wieder umgeworfen und neu ausgerichtet werden müssen – weil z. B. der Patient etwas anderes wünscht. Klingt nach Fähnchen-im-Wind-Mentalität? Weiterhin steht die Praxisphilosophie und -Politik an erster Stelle. Man ändert nie, wer man ist, aber was man tut.
Fazit
Agilität ist alles andere als ein bequemes Managementkonzept, aber es ist eines der erfolgversprechendsten. Der Vorteil ist, dass uns die COVID-19-Krise die perfekte Gelegenheit bietet, mit dem agilen Denken und Handeln zu beginnen. Denn erstens geht es gar nicht anders und zweitens müssen es alle tun. Warum dann nicht gleich und am besten als Erster.

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